Donnerstag, 12. November 2015

Kleider machen Leute - Kleidungsstücke als Ausdruck unserer Geschlechtszugehörigkeit

Ein bisschen Off-Topic


Hallo Ihr Lieben,


Es gibt den sogenannten "Ententest", der eigentlich nichts anderes bedeutet, als an äußeren Merkmalen etwas zu definieren. "Es schwimmt wie eine ente, es schnattert wie eine Ente, also ist es eine Ente".
Wir alle verhalten uns unbewusst analog, wenn wir von anderen identifiziert werden wollen oder andere identifizieren. Ein wesentlicher Bestandteil unserer Entscheidung ist dabei das "Erscheinungsbild".
Sprechen mit tiefer Stimme = Mann, wer die ersten Folgen des Tatorts aus Münster kennt, weiß, das genau diese Schlussfolgerung den Kommissar Thiel zur Schlussfolgerung bringt, mit "Herrn Staatsanwalt" zu telefonieren.
Noch deutlicher fällt unsere Beurteilung vom visuellen Standpunkt aus, wenn schematische Muster auf das Geschlecht übertragen werden. Dort wird eine klare Zuordnung von Kleidungsstücken zum Geschlecht vorgenommen, die weniger anatomisch als erfahrungsbedingt begründet ist. Im Unterschied zum Ententest wird hier das Erscheinungsbild jedoch wesentlich weniger umfangreich reflektiert, in aller Regel begnügen wir uns mit gesellschaftlich erworbenen einfachen Kriterien. Es kann jeder mal für sich nachdenken, was ihm oder ihr einfällt, wenn es um die Herausstellung typisch weiblicher oder männlicher Merkmale geht. Hier mal eine kleine, nicht repräsentative Auswahl:
  • Weiblich: Kleid, High Heels, Make-up, Strumpfhose,  
  • Männlich: Jeans, Anzug, Drei-Tage-Bart, Motorrad
Mit dem Prädikat "weiblich" versehen werden demnach vor allem Kleidungsbestandteile und Merkmale, die optische Attraktivität herstellen sollen, "männlich" sind vor allem zweckmäßige und statusbringende Merkmale vorgeprägt. Das sind aber eigentlich gesellschaftliche Normative und weniger beschreibende Merkmale, wie beim Ententest. Genau das beschreibt aber unser allgegenwärtiges Dilemma, wenn es um Diskussionen geht. Während die Gesellschaft als immer stärker individualisiert beschrieben wird, sind die Beurteilungskriterien eigentlich zunehmend uniform. Verschiedentlich ist von einem neuen Konservativismus die Rede. Auf die kreativ zerstörerische Entwicklung der 70er-Jahre käme nunmehr ein neuer Konservativismus.


Ist das wirklich so? War der überwiegende Teil der Gesellschaft nicht viel konservativer und lockert sich zunehmend und nur der vor allem mediale Blickwinkel ist jetzt ein anderer?


In den Kommentaren zu meinem letzten Post ist die indirekte Fragestellung aufgekommen, inwieweit Kleidungsstücke zurückstrahlen auf die Wahrnehmung durch andere. Das ist ein ernstes Thema, insbesondere in der Phase der Selbstfindung, in der neben der Herausbildung des "Ichs" auch die sexuelle Orientierung und Bindung stattfindet. Ein Junge im BH ist für ein Mädchen wohl eher weniger interessant, als der dem gesellschaftlichen Normativ entsprechende Junge in Jeans mit sofern schon vorhanden Drei-Tage-Bart. Demnach wird der Junge mit "Busen" wohl auch kaum einen BH tragen, wenn seine Suche nach einem weiblichen Partner startet. Er wird sich eher schämen und versuchen seinen "Makel" zu verbergen. Im Gegenzug ist wohl zu erwarten, dass Mädchen, die einen kleinen Busen haben, versuchen sich "aufzuwerten", z. B. durch pushende BHs etc.


Lebenspartnerschaften, die aus gemeinsamen Zielen resultieren und die weniger auf einem sich gegenseitig schmückenden (Seht welch attraktiven Mann, welche attraktive Frau ich mir leisten kann.) sind meistens erfüllter und stabiler, "Makel" werden meist erheblich großzügiger toleriert, wenn es gemeinsame Ziele und Interessen gibt. Letztlich sind wir also allesamt Opfer unserer über Jahrhunderte immer weiter verfeinerten Seh-Sinne. Es ist unbestritten, dass schwer Sehbehinderte deutlich tiefgründigere und emotional festere Beziehungen eingehen können, als der Durchschnitt der Bevölkerung. Zurückzuführen ist das darauf, dass die Entscheidungsbildung weniger stark  vom Sehen beeinflusst wird.


Insofern ist für mich die Kleidungsfrage eine sehr komplizierte Frage, weil wir eben in einer stark vom Sehen geprägten Gesellschaft leben. Leider wird der Ententest dann eben ausschließlich anhand der visuellen Wahrnehmung angewendet und das Ergebnis aus einem stereotypen und sehr kleinen Katalog an Lösungen ausgewählt. Wir sind also begrenzt in unserer Freiheit, uns individuell zu verhalten, wenn wir innerhalb der Gesellschaft als gesellschaftsfähig anerkannt werden wollen. Die Regeln dafür, was gesellschaftsfähig ist, können wir als Individuum nur marginal beeinflussen. Deshalb bin ich von jeder Initiative begeistert, die Vielfalt als normativ ansieht, die Individualität als gesellschaftsfähig charakterisiert und die von Stereotypen in der Wahrnehmung klaren Abstand nimmt.


Als ich mit diesem Blog gestartet bin, war das aus einem gewissen Drang heraus, klarzustellen, dass ich - auch wenn ich regelmäßig einen BH trage - ein ganz normaler Mann bin, der auch als solcher wahrgenommen werden will und der andere Männer, die analog betroffen sind, ermutigen will, es ihm gleichzutun. Zwangsläufig habe ich mich in den letzten drei Jahren mit vielen Beiträgen zum Thema Mode, Kleidung, Gender und Sexualität in den Medien beschäftigt. Was mir oftmals aufgefallen ist, war eine gewisse Intoleranz von allen Seiten, sowohl den Schreibern und Schreiberinnen, als auch den Personen, die kommentierten. Es ist die gleiche Intoleranz, die uns zunehmend unter dem Eindruck der aktuell hohen Anzahl an Flüchtlingen entgegenschlägt. Und damit meine ich nicht nur diejenigen, die sich massiv für eine Abschottung aussprechen.


In der Gesellschaft hat sich ein Irrtum herausgebildet, der gerade in schwierigen Situationen immer wieder zu Problemen führt. Unter dem Eindruck, gegen Schwarz-weiß ein Abbild von Abstufungen wahrzunehmen, wird verkannt, dass eine Entscheidung immer binär ist. Ich muss mich immer pro oder contra entscheiden, ich kann zwar die Frage ändern, aber ich muss immer ja oder nein sagen. Im Praktischen muss ich also immer abwägen, wofür genau ich mich entscheiden kann, das gilt in Fragen der menschlichen Bindung genau so, wie bei der Wahl des Berufes, bei der Frage der Kleidung und bei allen anderen Lebensfragen. Jede Entscheidung, die wir treffen hat natürlich Auswirkungen über unsere weitere Entwicklung.


Das bedeutet im Umkehrsinn aber auch, dass wir uns klar darüber sein müssen, wie unsere Entscheidung in Sachen Kleidung von unserer Umwelt wahrgenommen wird. Wir sollten uns klar sein, dass wir mit der Art, wie wir uns kleiden, wir unbewusst kommunizieren, wie andere uns wahrnehmen sollen. Hierfür aber werden im verkürzten Ententest im Allgemeinen die aktuellen gesellschaftlichen Normative herangezogen und die lauten:

Eine Person im Kleid oder in High Heels oder im BH ist eine Frau!
 
Wir können an uns natürlich einen Aufkleber befestigen, "Ich bin ein Mann", aber die Wahrnehmung wird dann nicht sein: Ein Mann , sondern Ein als Frau verkleideter Mann.


Für mich persönlich heißt das, ich werde auch weiterhin einen BH tragen, werde aber immer bedenken, dass ich für andere möglicherweise ein verkleideter Mann bin. Es heißt aber auch, dass ich in meinem persönlichen Umfeld (die meisten interessieren sich eh nicht für mich) nur Menschen akzeptiere, die mich im BH als Mann akzeptieren.


Bis dahin


Euer BraBerliner


PS: Es gibt Neuigkeiten. Ich habe mich unlängst in die Marke Empreinte verliebt. Zugegeben nicht eben besonders preiswert, aber himmlisch und ihren Preis wert. Meinen Review zum Melody lest Ihr demnächst.

















1 Kommentar: