Sonntag, 10. April 2016

Emanzipation in der offenen Gesellschaft

Hallo Ihr Lieben,

zuletzt bin ich vor allem auf der Review-Schiene unterwegs gewesen. Wenn ich meinen Blog klassifizieren müsste, dann würde ich wohl eine Mischung aus Lingerieblog und simpel philosophischer Selbstspiegelung sehen. Als Lingerieblogger bin ich wohl nach wie vor ein Exot. Das Problem ist, dass man schnell in die Schublade eines Schlüssellochexhibitionisten geschoben wird, wenn man als Mann über Büstenhalter am eigenen Körper schreibt und das Ganze zusätzlich visuell unterstützt. Bei heimlichen Voyeur wäre ich wohl gegenüber der Vielzahl weiblicher Bloggerinnen wenig interessant, für die Modeindustrie bin ich wohl ohnehin uninteressant und für die, die nach Trash im Internet suchen, werde ich wohl als Joke hier und da umhergereicht werden.

Allerdings sehe ich mich eher als Betroffenen an, der versucht, sein eigenes Weltbild anderen ebenfalls Betroffenen zu vermitteln, sie aufzumuntern und die eigenen Erfahrungen zu teilen. Aus dieser Sicht heraus bin ich auch der festen Überzeugung, dass entscheidend für unser Wohlbefinden ist, sich anzunehmen und mit einem positiven Selbstbild das Leben zu meistern. Genau dieser Punkt ist es, warum ich sehr viel Sympathie für feminine Emanzipationsbewegungen empfinde und aus genau diesem Grund habe ich mich etwas stärker mit dem Thema Emanzipation beschäftigt.

Der Begriff, mit lateinischer Sprachwurzel, wird vor allem mit Befreiung verbunden, war es historisch die Befreiung von väterlicher Bevormundung oder aus abhängigem Leben, so wurde er vor allem im letzten Jahrhundert mit den Frauenbewegungen verbunden. Sich emanzipieren bedeutet für mich, sich von Fesseln zu befreien, sich unabhängig zu machen, sei es von materieller Abhängigkeit oder von geistiger Abhängigkeit. In einer offenen Gesellschaft, wie unserer, ist es vor allem wichtig, sich von zweifelhaften gesellschaftlichen „Normen“ zu befreien und das ist genau der Punkt, in dem ich gedanklich den diversen Frauenbewegungen nahe stehe. Allerdings ärgere ich mich auch regelmäßig, wie in vielen Foren oder Gruppierungen reflexartig gebissen wird, wenn jemand auch nur ansatzweise Kritik an Leitsätzen übt.

Worin sehe ich vor allem Gemeinsamkeiten zwischen meinen und feministischen Auffassungen:
  1. Ich sehe eine unbegründete Ungleichheit, mit der Geschlechter gemessen werden.
  2. Ich lehne jede Art an Normierung des Individuums in körperliche oder geistige Kategorien ab.
  3. Ich bin gegen selbstzerstörerische bis zum Eigenhass hingehende Selbstspiegelung.

Was bereitet mir Sorge?
  1. Ich sehe eine zunehmende Polarisierung, die zunehmend zu Hass führt.
  2. Ich erkenne in vielen Äußerungen der Emanzipationsbewegungen Muster, die mir aus den ausgrenzenden Regeln der der bestehenden Strukturen wohl bekannt sind.
  3. Ich ärgere mich über Reaktionen auf Kritik, die vermitteln, dass sie aus dem Wissen heraus erfolgen, im Besitz der einzigen Wahrheit zu sein.

Ich habe kürzlich einen Artikel gelesen, der mich sehr nachdenklich gemacht hat. Er mündete im Wesentlichen in folgende Aussage:

Die binäre Einteilung der Menschen in zwei Geschlechter ist nicht nur ein entscheidender Nachteil unserer gesellschaftlichen Entwicklung, sie ist auch aus biologischer Sicht schlichtweg falsch.

In dieser Aussage steckt eine erhebliche Brisanz, weil viele gegenwärtige gesellschaftliche Probleme genau eine Folge dieser binären Teilung sind. Sei es die Diskussion über die gleichgeschlechtliche Ehe, die Gleichbehandlung der „beiden Geschlechter“, die Unterrepräsentation von „Frauen“ in verantwortlichen Positionen, überall ist die Ursache eine binäre Geschlechterrolle. Es erscheint so, als sei es dem „Teufel“ gelungen, durch eine Trennlinie zwischen den Menschen zwei ewig in Zwietracht lebende annähernd gleich große Gruppierungen zu schaffen, die anstatt die wirklichen Probleme zu lösen, sich in einem ewigen Kampf um Gleichheit verschleißen.

Worin sich die gesellschaftlichen Diskussionen immer gleichen, ist „das Wissen darum“, dass immer die anderen Schuld sind.
  • Ungleiche Behandlung und Entlohnung von Mann und Frau: Schuld sind die verkrusteten Strukturen der alten Männer.
  • Psychische Probleme, Körperhass und Depressionen bei Frauen: Schuld sind die Erziehung und die Normative, die die Medien verbreiten.

Emanzipation fängt für mich beim Ich an. Emanzipation ist eine „aktive Handlung“ des Individuums, um sich aus etwas zu befreien. Was haben erfolgreiche Manager und Managerinnen gemeinsam: Sie sind von sich selbst überzeugt, sie haben sich gegenüber den „gesellschaftlichen Normen“ emanzipiert, teilweise mit der negativen Folge, ein völlig übersteigertes Selbstbild zu besitzen. Vergütungen, Unfähigkeit zu Selbstkritik („Bin ich Gott?“), selbstherrliche Beratungsresistenz sind in aller Regel geschlechterübergreifend. Genauso aber auch verantwortungsvolles Handeln und die Bereitschaft, eigene Entscheidungen zu prüfen und erforderlichenfalls anzupassen.

Unsere offene Gesellschaft bietet sehr viele Möglichkeiten, sich von falschen oder fragwürdigen gesellschaftlichen Normen zu lösen, wenn wir bereits sind, mit uns selbst zu beginnen. Was wiederum heißt, Emanzipation beginnt in unserem Innern. Aber zur Emanzipation gehören auch ein gewisses Vertrauen und die Bereitschaft, sich mit Argumenten auseinanderzusetzen. Vertrauen heißt, ich muss anderen zugestehen, dass sie, auch wenn sie nicht meiner binären geschlechtlichen Gruppe angehören, meine Auffassungen zu teilen. Sich mit Argumenten auseinandersetzen heißt, ich muss bereit sein, meine „eigene Wahrheit“ fortwährend auch in Frage zu stellen.

Ich bin mir sicher, dass mittelfristig die Emanzipation des Individuums jenseits aller binären Trennung funktionieren wird. Ich bin mir aber auch sicher, dass das noch sehr viele Mühen verursachen wird. Ich merke ja an mir selbst, wie schwierig Emanzipation ist, und sei es nur, wenn es um so simple Dinge geht, wie einen BH zu tragen, der in unserer binären Weltsicht den Frauen vorbehalten ist, während ich in unserer binären Welt doch ein Mann bin. Und damit sind wir wieder am Ausgangspunkt angelangt. Ich schreibe wohl doch eher einen Lingerieblog und das ist ein Teil meines Versuches, mich als Individuum zu emanzipieren.

Wie seht Ihr das Thema? Habt Ihr ähnliche Sorgen wie ich? Wie weit habt Ihr Euch schon emanzipiert? Oder ist das alles Quatsch?

Halt ein ziemlich kompliziertes Thema. Ich hoffe dennoch, Ihr habt bis hier gelesen.

Einen gut sitzenden BH für die nächsten Wochen wünscht


Euer BraBerliner